Dresden, 27.Januar 2022.
Kalt und feucht verblies mir der Wind das Fahrradfahren als ich mich keuchend den Berg zur Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus im ehemaligen Richthof Münchner Platz schleppte. Sowas von keinen Bock. Eigentlich hatte sich DISSIDENTEN-Kollege und Lieblingspirat Dr. MSW schon widerwillig breitschlagen lassen, die Fraktion zu vertreten, aber ich Idiot musste ja zugeben, dass mein Termin (Kongo-Impfe) ausgefallen ist und ich doch Zeit hätte . „Muss ich da Blumen mitbringen? Als ich letztes Mal zu sowas hinmusste, hatten plötzlich alle Blumen dabei und ich stand doof da.“ hat MSW noch gesagt, bevor wir in einer folgenschweren Runde Schnick-Schnack-Schnuck mein Schicksal besiegelten.
Schon vor dem Blick auf Wikipedia, was dieser „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus“ offiziell sei, wusste ich, dass mir diese Nazi-Opfer wieder den Tag vermiesen. Darüber sinnierend, warum mich dieses Gedenkgedöhns so anwiedert, finde ich, dass schlechte Laune wegen Holocaust eine gute Sache ist. Die eine Sache, die wir nicht vergessen dürfen. „Nie wieder!“ Von wegen. Fickt euch!
Vom „Weltmeister in Vergangenheitsbewältigung“ zu Aufarbeitungs-Höchstleistung motiviert, trotzte ich also Wetter und Unwillen, um den Richtplatz zu erreichen. Als ich nur 15 Minuten zu spät ankomme, lauscht ein schwarzer Betroffenheitsblock (20-30 Personen) bereits andächtig einer ganz guten Rednerin. Gedenk sei dank, kann durch den unangenehm berührten Blick auf die blankgeputzten Schuhe mein unangemessenes Eintreffen (neongelbe PEGIZEI-Jacke) angemessen honoriert werden. Erstaunlich, wieviel Argwohn Schuhe auslösen. Die beiden folgenden Reden mahnen des zunehmenden Antisemitismus, klagen u.a. das damalige Desinteresse am Morden an, verweisen immer wieder dringlich auf die Gegenwart und karikkieren sich dann artig durch Lobbhudelleien auf Bundesminister, Land und Oberbürger Dicks Engagement.
Während der Musikant ein angemessen trauriges Liedchen geigt (ergreifend), nutzen wir die Zeit zu resümieren, womit z.B. unser Oberbürgermeister sich diese Anerkennung verdient hat. Mir kommen fast die Tränen, wenn ich daran denke, wie tapfer das Verwaltungsoberhaupt, also auch Chef der Versammlungsbehörde, Dresdens Plätze Woche für Woche, Jahr um Jahr für PEGIDA verteidigt und den Gegenprotest gängelt. Oder – Eins schaffen wir noch, bevor der Holocaust-Soundtrack ausgefiedelt wurde. – Oder wie Dick erst letzte Woche den Petenten des Sicheren Hafens eine Beschluss-Version ihrer Petition vorschlug, in der nicht eine, also Null (0) ihrer Forderungen (Seenotrettung, mehr Flüchtlinge, Bleibeperspektiven) enthalten waren. Dafür aber krude Geschichten und Formulierungen und bedeutungslose Bekenntnisse zu gesetzlichen Vorgaben. Dass der Vormittags in Menschlichkeit machende, am Abend sogar der Behandlung des Sicheren Hafens ablehnte, steht dem nicht entgegen. Aber genug der Lobpreisungen, das Lied ist aus.
Gerade noch rechtzeitig reihte Staatsminister und Mahnmal für Alles was schief läuft in der „Sozialdemokratie“, Martin Dulig, sich in die Trauermasse ein, um nichts vom lustigen Teil zu verpassen. Mit der Aufarbeitungsliturgie noch nicht vertraut, staunte ich nicht schlecht, als sich aus kurzem Wirrwarr, die Gedenkgesellschaft zur wohlgeordneten Kranzniederlegung formierte. „Muss ich da Blumen mitbringen?“ hallen mir Dr. MSWs Worte boshaft durch den Kopf, als sie mit ihren Trauergestecken in zweier-Reihe antreten. Rituelle Betroffenheitsbekundungen sind ja nicht so mein Ding, aber für Kranzniederlegungen kann ich mich jetzt rein humoristisch begeistern.
Die vielen gespannten Fallstricke, welche der immergleiche Ablauf, aus Anmarsch, Ablegen, gebeugten Hauptes rumstehen und Abgang bietet, haben es in sich. Da ist zunächst die allgemeine Gefahr, ob des Versuchs des ehrwürdigen Gebarens, durch unbeholfen hölzernes Gestackse, das Gegenteil des Beabsichtigten zu erwirken. Dicks Fachgebiet. Je staatstragender und beudeutungsvoller das Ansinnen, um so drolliger der Oberbürger. Wenn er dann noch das Unglück hat, neben dem diesbezüglich wesentlich geschickteren Dulig zu schreiten, zu legen und rumzustehen, wird das Ausmaß der ungelenken Pümpeligkeit ins Groteske deutlich. Lustig, aber wenn ich in mich hinein kichere, gucken alle komisch.
Als nächstes Problem der kollektiven Bekränzung, machen sich die Kränze selbst unbeliebt. Spätestens nach dem dritten Niederlegungsduo wirds eng im Gedenkraum. Also muss gerückt, geschubbst und geklettert werden, um die eigene Betroffenheit floral zu bekunden. Zuppeln die Ersten noch hilflos rum, um die Spruchbänder der anderen nicht zu verdecken, wird’s gleichgültig, wenn der Gedenkkranzhaufen nur groß genug ist. Man erkennt an besagten Spruchbändchen ja durchaus zur Genüge, dass es nicht die Weihnachtsbaumentsorgungsstelle ist.
Einer besonderen Herausforderung stellten sich Mario Schmidt (CDU), Holger Hase (FDP) und Agnes Scharnetzki (Grüne), als sie zu dritt rituell gedachten. Um die Koordination des Trios stand es schon beim Anmarsch schlecht, als dann aber Mario von der CDU einen Battle daraus machte, wer länger gesenkten Hauptes auf seinen Kranz starren kann, offenbarten sich die möglichen Peinlichkeiten vollends. Schon beim Einmarsch zeigte sich im CDU-Mann ein Vollprofi, mit geradezu kohlesker, staatsmänischer Getragenheit. Agnes von den Grünen hatte es eindeutig eiliger und musste bei den 5 Schritten zwischen Start und Ziel schon irritiert bremsen. Holger Hase hielt sich durchweg souverän im Mittelfeld. Bei der Niederlegung gelang noch geradeso das Kunststück in unterschiedlichen Geschwindigkeiten gleichzeitig, das Gleiche in der gleichen Zeit zu machen. Jedoch schienen Scharnetzkys nervösen Blicke Gedenkmario erst richtig anzuspornen. Und da eskalierte es: Seine Machtposition, auf der zum Abgang vorgesehenen Seite zu stehen und somit auch Holger und Agnes seine Gedenkzeit aufzuzwingen, nutzte der CDU-Mann gnadenlos aus. Deutlich zu lang stand er da, während die Grüne längst fertig war, nach ihm guckte und immer ungeduldiger rumhüpfte. Eingezwängt zwischen Hibbelig- und Bräsigkeit wurde der Druck auf Holger Hase zu groß und so musste er, selbst getrieben, den siegreichen Mario vom Feld drängen. Das natürlich wieder für Agnes zu langsam, so dass die drei auf Tuchfühlung zueinander in sehr würdevollem Entenmarsch von dannen watschelten. Nichts für Ungut – Wir wissen ja wie’s gemeint war!
Als der letzte Kranz liegt, ist dem Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus genüge getan und binnen weniger Minuten verlassen die Überlebenden den Richtplatz. „Was will man machen? Der Staat besteht aus seinen Ritualen.“ sagt Thomas Loeser (Grüne) noch beim Radeln. Ich kann ihm nicht mehr widersprechen, bevor er abbiegt. Es tut mir Leid für die, denen diese Rituale was bedeuten.
Teil 2 des Stadtratsreports folgt…