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10. September 2020

STADTRATSREPORT (10)

Im Kapitalismus nichts Neues
oder
Kein Geld für Gutes



Das einzig Überraschende an der ersten Sitzung nach der Sommerpause war, dass Dick die „Räumlichkeit geäntert“ hat.* Das brachte mich zum Kichern. Ansonsten steht die Messehalle 3 der Halle 1 an heimeligem Charme und nutzbetonierter Funktionsblechatmosphäre in Nichts nach.

Im Vorfeld der Stadtratssitzung gab der Finanzbürgermeister eine Pressekonferenz, um über den Haushaltszustand in Coronazeiten zu berichten, was bei allen Fraktionen für ernsthaften Unmut sorgte, da weder der Stadtrat noch der Finanzausschuss bislang diesen Finanzzwischenbericht erhielten. Weil sich also kein Stadtrat dazu äußern kann, hat das Rathaus somit die absolute Deutungshoheit und die gewählten Vertreter dürfen dann in ein bis zwei Wochen reagieren. Daher forderte der Ober-LINKE vom Oberbürgermeister, dass der Bericht des Oberbürgermeisters** genutzt wird, um den Stadtrat dahingehend zu informieren. Das tat dann der Finanzbürgermeister Lames (SPD) recht schwammig, aber wenn das Land das Geld vom Bund weiterreicht, ist’s wohl halb so wild.

Gleich zum Auftakt der Sitzung brillierte die AfD durch absolut abstoßende Widerwärtigkeit. Ich ekel mich nur noch.


Ich musste schon im Voraus etwas lachen, als ich das Thema der „aktuellen Stunde“*** der SPD „Wieviel Marktwirtschaft braucht ein soziales Dresden?“ las und freute mich schon auf die schwammigen Ausführungen, bei denen niemand eine eindeutige Position beziehen würde und dennoch alle sich gegenseitig das Nicht-Gesagte vorwerfen. Ich wurde nicht enttäuscht.


Die sozialdemokratische Finanzfrau Dr. Viola Vogel bemühte Marx, natürlich ohne eine Haltung erkennen zu lassen, und palaverte irgendwas von Sozial und Marktwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft. Obgleich die Rede vor sozialdemokratischer Substanzlosigkeit strotzte, provozierte es den schnuckeligen Mini-Zastrow der FDP, Malorny, zu einem kapitalistischen Reizwortbrechreiz ohne erkennbare Hirnaktivität geschweige fundiertes Wissen. Wir bräuchten Leistungsträger, weniger Staat, Wachstum, weniger Regulierung und Gängelung, noch mehr Wachstum, Schuldenfreiheit, Wachstum für die Gemeinschaft, die Hartz4-hat-Deutschland-fit-gemacht-Mär, Wachstum und natürlich durfte der Vorwurf der „ideologisierten Staatswirtschaft“ aus der „sozialkommunistischen Mottenkiste“ nicht fehlen.
Das nervte die von mir geschätzte grüne Altlast Michael Schmehlich so sehr, dass er fast vergaß, sein Anliegen vorzutragen, dass es eine Unverschämtheit ist, wenn alle Welt Schulden aufnimmt und nur Dresden an der schwarzen Null festhält, und stattdessen erklärte, dass der Markt per Definition asozial ist und die FDP vor wenigen Wochen noch nach Staatshilfen geschrien habe.
Zwischendurch gab IM Hannig von den neurechten Freien Wählern noch sein lustiges Phantasie-Rechtssystem zum Besten. Der langweilige CDU-Typ (Name unbekannt; sieht aus, wie die halt aussehen) führte äußerst langweilig den üblichen, langweiligen „Wir-sind-die-Mitte“- und „alles-ist-bestens-wegen-sozialer-Marktwirtschaft“-Kram auf. Lustig war allerdings seine Behauptung, die CDU sei nicht kapitalistisch und warm. Die drollige AfDer-Bommel Lommel zählte Fremdwörter auf, dann haben wir beide den Faden verloren.
Der LINKEn-Fraktionsvorsitzende Schollbach hielt eine erwartbare, aber ganz gute linke Rede mit antikapitalistischen Papst-(aktuell) und CDU-(1947) Zitaten.

Bei einem Zwischengespräch vor der Tür antwortete ein Fachbürgermeister (anonym, Quellenschutz), der es wissen muss, zu seiner Einschätzung von PPPs (PrivatePublicPartnership) gefragt, nach kurzem Zögern: „Eine weitere Möglichkeit, bei der Kommunen über den Tisch gezogen werden. Intransparent, kaum zu steuern und teuer.“


Der SPD-Stunde folgte eine aktuelle Stunde der Grünen: „Klimaschutz in und nach der Corona-Pandemie“. Die bessere Hälfte des Stadtrates bekräftigte die Dramatik der Klimaapokalypse, unterließ aber vorsichtshalber konkrete Vorschläge. Die rechte Hälfte, allen voran die olle Dagen, redete davon (ebenso wie von Corona) nur als von einer fragwürdigen Möglichkeit, während sie aber gleichzeitig (zurecht!) den Grünen Heuchelei vorwarfen. Immerhin stellen diese den Umwelt- und Baubürgermeister und sind die größte Fraktion im Stadtrat. Und tun nichts. Ich überlegte kurz, ob es nun uncool wird, Grüne zu bashen, wenn alle das machen, habe mich aber dazu entschieden, dass sie noch viel mehr als das verdient haben. Zusammenfassend kann ich nur feststellen, dass im Dresdner Stadtrat ohne erheblichen Druck von außen nichts passieren wird, um die Stadt klimaneutral zu machen. Weil: Es ist zwar ganz, ganz schlimm, aber das Geld…


Dann kam nach über einem Jahr der ziemlich lächerliche und harmlose Antrag „Gemeinwohlökonomie stärken“**** dran. Ungeplant fasste meine Rede die gesamte Debatte ganz gut zusammen.


„Gemeinwohl-Ökonomie stärken – also Nachhaltigkeit und Solidarität als Maßstäbe für die Qualität unternehmerischen Handelns ansetzen. Wo kommen wir denn da hin?
Hat es nicht lange genug gedauert, bis endlich Geld als einziger Maßstab für alles und jeden akzeptiert wurde? Bis Wert und Geld zu beinahe bedeutungsgleichen Begriffen wurden? Bis sogar eine Stadt als Konzern tituliert werden konnte? Da mühen wir uns Jahrzehnte ab, im Dienste des Profits und des Wachstums einander zu schinden und einen ganzen Planeten zu ruinieren, und jetzt kommen LINKE, Grüne und SPD hier mit diesem ketzerischen Antrag. Der Oberbürger möge prüfen, ob es vielleicht, auf freiwilliger Basis möglich ist, eventuell, wenn gewünscht und sich niemand daran stört, weil es zielführend sein könnte, bitte, bitte das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie ein bisschen zu stärken.

Qualität nicht mit Geld messen? Was man mit Geld nicht messen kann, ist Firlefanz, Unfug oder noch schlimmer: Sozialismus! Sozialismus tötet. Und wer Sozialismus sagt, muss Linksextremismus sagen und wer Linksextremismus sagt, muss Rechtsextremismus sagen. Welch drastische Konsequenzen städtisch geförderte Gemeinwohl-Bilanzierung nach sich zieht, konnten wir im Juni in Stuttgart sehen. Der Zusammenhang ist offensichtlich, weswegen, vermutlich, der Antrag auch keine Mehrheit im Ausschuss bekam.

Selbstverständlich werde ich dem Antrag zustimmen.

FunFact: Seit 2017 müssen durch Richtlinie der zutiefst kommunistischen Europäischen Union alle börsennotierten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern eine Nachhaltigkeitsbilanz erstellen. Die Gemeinwohl-Bilanzierung ist explizit als möglicher Standard dafür aufgeführt. Der für seine antikapitalistischen Exzesse verschrieene Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nennt Gemeinwohl-Ökonomie gar als zielführend für einen „Wandel hin zu einer ethischen Marktwirtschaft“.“

Der Antrag wurde vom kapitalistischen Block aus Nazis, Halbnazis und Arschlöchern (CDU, FDP, AfD, FW) mit 34:35 abgelehnt.

In einer endlosen Debatte erjammerte sich die FDP die frühere Eröffnung der Weihnachtsmärkte. Drei Tage mehr wollten alle mitmachen, aber Holger Zastrow wollte eine Woche – für seinen eigenen Hauptstraßenmarkt („Augustusmarkt“). Wegen Befangenheit musste er zum Glück zu dem von ihm eingereichten Antrag schweigen. Mit nur zwei Gegenstimmen konnten mein Lieblingspirat Dr. MSW und ich dieses verlängerte Weihnachtsmarktelend leider nicht verhindern.
#Glühweinkotzen

Viel Tam-Tam gab es auch um einen völlig inhaltsleeren Antrag der Freien Wähler zum neuen Verwaltungszentrum am Ferdinandplatz. Die Aufregung schien mir ein wenig aufgesetzt, bockig und paranoid. Die Verteilung der Verwaltung über die ganze Stadt ist wohl kontraproduktiv. Aber endgültig beschäftige ich mich damit, wenn es was zu entscheiden gibt.

Bäume mögen alle, deswegen drehte sich die Debatte um die neue Baumsatzung, bei der Baumfetischisten wirklich jede Möglichkeit für mehr Bäume festschreiben, darum, dass alle Bäume mögen, aber keiner sie bezahlen will. Deshalb ist die Satzung zwar schön, wird aber voraussichtlich nicht umgesetzt. Somit ersparte ich mir den Großteil der letzten 45 Minuten und hörte Musik. Wenn man die traurigen Gestalten nur gestikulieren sieht, ist das weniger schmerzhaft und viel unterhaltsamer.





* Die drollige Unfähigkeit des Oberbürgers, Konsonanten richtig auszusprechen, bringt mich immer wieder zum Kichern und ist eigentlich der Erwähnung nicht wert, aber er hat sich das verdient.
** Auf der Tagesordnung jeder Stadtratssitzung ist TOP2 der Bericht des Oberbürgermeisters. Dabei soll der Oberbürgermeister den Stadtrat und die Öffentlichkeit über die wichtigsten Vorgänge in der Verwaltung informieren. Während das in allen (mir) bekannten Gemeinden auch so praktiziert wird, verzichtet Dick auf diesen demokratischen Firlefanz. To be continued…
*** Rederecht nur für Fraktionen, Fraktionslose haben zu schweigen. ****Der Antrag: https://t.co/dFTXVGtACQ?amp=1

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