Neuigkeiten

7. Januar 2021

STADTBEZIRKBEIRATSRÜCKBLICK 2020

von Stadtbezirksbeirätin Charlotte Brock

Anmalen, Abfackeln, Ankacken
oder
Was ich 2020 aus dem Stadtbezirksbeirat Neustadt mitnehme.

“Die Sanierung der Neustadt war ein voller Erfolg!”
So dröhnt es Anfang des Jahres vom kleinsten Podium der Welt, irgendwo hinter der Bautzner Straße, zweite Etage über Babywalz, zweimal links und dann den grauen Flur entlang, wo bekanntlich allmonatlich die geballte Macht der Stadtteilpolitik das Büromobiliar erbeben lässt.
Die Beiräte sollen die Auflösung der Treuhand abnicken – eine Liste von städtischen Grundstücken und Wohnhäusern im Kiez hängt an, natürlich lachhaft kurz, vor allem im Vergleich zu den Slums des Elendsviertels Fick-Pieschen. Die Erklärung der eifrigen Sachbearbeiterin folgt auf den Fuß: Man habe nach der Wende in den Vierteln auf unterschiedlich lahme Pferde gesetzt. Pieschen wurde mehr oder weniger ignoriert, die Neustadt direkt niedrigstbietend verschleudert und mit beigem Spritzputz gehörig aufgebretzelt. Richtig schön sei es geworden und sofort schießen mir Anton Launer – schwergewichtiger Stadtteilpolitikjournalist (FDP-Punk) – und sein Gefasel vom monetären Potenzial in die sitzungsträge Rübe. Jippijajeh, Vier-Euro-Bier. Das schmuddelige Gefühl wird sofort von einem SPD-Antrag beflügelt, die in der Treuhandliste einen kleinen unbeugsamen Flecken Erde aufgetan haben, der der Bebauung bisher so erbittert die Stirn bot. Nach einem halben Jahr im “Amt”, versetzt mich das Wörtchen “bebauen” in Blutrausch. Narrenhäusl, Leipziger Bahnhof, Staufenbergallee, Neustädter Markt und Neustädter Hafen, das wird sooo schön! Zum Glück bin ich nicht ganz allein mit meinem Wunsch nach der ein oder anderen Dreck-Ecke (Leben und so), der wackere Piratenjan und ich reichen einen Antrag ein, der statt Yuppiewürfleln auf Putzi- und Postgelände Kulturhäuser und Grünflächen fordert. Grüner Bebauungsplanguru, Investorenkenner und Antragsvater Lichdi tobt (siehe Stadtratsreport) und nennt mich ab jetzt nur noch beim vollen Namen, wie eine unartige Siebenjährige. Sein stockärschiger Rivale und Rädelsführer der SBR-Grünen 00Schneider, versucht noch Tourett-Opas sehr guten Antrag bei mir zu bewerben, stellt aber bald fest, dass er ihn gar nicht gelesen hat. Zugestimmt wird trotzdem. Von Ulla Wacker mit achsezuckendem Bedauern. „Sorry.“ Wegen meiner guten Kinderstube haue ich nur meinen eigenen Kopf immer wieder heftig auf die Tischkante, was nur halb so viel Spaß macht. Keine Woche später sind die Villen auf dem Putzigelände besetzt. Zufall? Ja.

Der folgende pandemiebedingte Zwangsurlaub von Bauwahn und träger Gleichgültigkeit kommt mir mehr als gelegen. Ende März ist der Wunsch unbeteiligten Latte-Macchiato-Schlürfern saftig die Fresse zu polieren endlich wieder beherrschbar. Ein voller Erfolg.

Der Sommer plätschert fröhlich vor sich hin, Sitzbänke, Bäumchen und anderer richtig heißer Verwaltungsshit werden im Vorbeigang beratend abgenickt und es herrscht eine solche Harmonie, dass AFD, Linke und Grüne glatt mit mir zusammen das Internet abschalten möchten. Wer dabei war, bekommt einen Ordnungsgong von Welt, BILD und FAZ, wer nicht dabei war, ein Bienchen ins Muttiheft. Für die PARTEI ein voller Erfolg, für mich eine erste innige Umarmung mit der Realpolitik und eine sanfte Ohrfeige für den allzeit abwesenden Platzhirsch Holli Zastrow. Einzig um meine aufkeimende Busenfreundshaft mit CDUler Gunter Thiele tuts mir leid, dessen kläglicher Rest einer politischen Laufbahn nach dem Wahlflop 2019 scheinbar völlig mit der gefühlten Seriosität des Stadtbezirksbeirats steht und fällt. Doch genug der Leichenfledderei und zurück zum Problem.

Bereits Ende des vorangegangenen Jahres kamen mein Genosse PARTEIJan und ich in den Genuss der Bekanntschaft mit dem “Neustädter Gewerbe geil, geil, geil e.V….und Kultur”. Im Comedyprogramm ihres Neujahresempfangs wurde munter über Frauen, Arme und geistig Behinderte gekichert. Bei Glühwein und Bratwurst satt wird nachgetreten. Die Tranquillochefin (Name unbekannt) fragt unter tosendem Applaus, ob die Deckweg-App auch Obdachlose entsorgt. Sympathischer Haufen. Da gibt man doch gerne 22T an Kulturfördergeldern für ihre unnütze Werbeplattform aus. Angenommen mit einer Gegenstimme.
Als die Nasen im frühen Herbst wieder im Sitzungssaal erscheinen, haben sie Verstärkung mitgebracht. Es geht ums Assieck und dass der Lärm, der Müll, die Musik, die Scherben, unhaltbar, lange genug geduldet und so weiter. Bei Öd’œuvre und Rotwein verschafft sich die Neustädter Machtelite auf dem Balkon des Tranquillo (Name unbekannt) mit gerümpfter Nase ein Bild vom marodierenden Pöbel. Irgendjemand wirft das Wort „Alkoholverbotszone“ in den Raum, das zwar niemals zur Debatte stand, aber jetzt unbedingt verhindert werden muss. Dafür schreckt die SPD selbst vor Gewalt nicht zurück und fordert zwei Mülleimer und harte Polizeipräsenz mit sexy Maßnahmen. Mir fällt auf, dass scheinbar alle mitgebrachten Anwohner finanziell von einem Assilosen-Eck profitieren und die Tischkante flüstert mir schon wieder verführerische Dinge ins Ohr. Statt mich darauf einzulassen, fasel ich von unkommerziellen, repressionsfreien Räumen, Armutsdiskriminierung und der sterbenden Neustädter Subkultur und schäme mich, da ich offenbar etwas ganz wesentlich positives am Pennerklatschen nicht verstanden habe.

https://stadtrat.partei-dresden.de/2021/01/07/stadtbezirksbeirat/

Was hatte ich erwartet? Mit einer Linken, die Graffiti für Sachbeschädigung und einer SPD die sich für die CDU hält, einer CDU, die nunmal die CDU ist, den fucking Grünen, und einer hageren AFD-Omi, die die ganze Zeit nur von Schwimmunterricht sabbelt. Dachte ich etwa, dass ich in ein Gremium gewählt wurde, in dem sich gleichgesinnte partygeile Querulanten einmal im Monat auf ein Bierchen treffen, um gemeinsam zu überlegen, wie man den Kiez etwas aufpeppt? Dass die PARTEIliche Stimme der spöttischen Vernunft am Ende gar nicht vonnöten wäre, weil alle gut vorbereitet und jenseits irgendwelcher Profilierungsspasmen die Neustadt mit ein paar huntert tausend Euro und zeilführenden Entscheidungen ein klein wenig schöner machen wollen? Was folgt daraus für die Heerscharen an 450€-jobbenden, endzwanziger Zwölftsemestern, die politisch unbemerkt zwischen den Mauern des sterbenden Viertels nur da sein wollen? Selbstmedikation, Selbstaufgabe und Selbsbefriedigung in individueller Selbstverwaltung oder Selbstmord? Oder doch lieber alle Stadtbezirksbeiräte abtreiben, bevor sie noch die letzte Made aus dem lauwarmen Kadaver Neustadt pulen? Alles muss man selber machen!
Meine Guten Vorsätze fürs neue Jahr, die ich auch all meinen Ratskollegen ans Herz legen will: Ein Haus besetzen, ein Jens Besser Werk übermalen, einen SUV in Brand stecken, einen Polizisten ficken, einen Obdachlosen vom Spermüll holen und mit Bezirksamtsleiter Barth die Weltrevolution ausrufen. Johannstadt soll auch schön sein.

Ich verbleibe einem dreifachen “Hip hip, hurra!”
Auf Bald, ihr Luftpumpen!

*/ ?>
-->